Zumindest wenn man ihm am Strand von Peniche begegnet, fällt Hansi Mühlbauer nicht auf. Mit seinen langen blonden Haaren, seiner sportlichen Statur und dem Seemannsbart, ist Hansi nicht von den anderen Surfern in der Gruppe zu unterscheiden. Auffällig ist nur, dass Hansi und einer der Surflehrer sich gegenseitig unterhaken, wenn sie mit ihren Brettern in Richtung Strand laufen, aber die Lösung ist so einfach wie außergewöhnlich. Hansi kann nicht sehen und kann wohl mit Fug und Recht behaupten, der erste aktive blinde Surfer Deutschlands zu sein.
Das Surfen auch für Blinde möglich ist, haben in der Vergangenheit schon vereinzelte Surfer, vor allem in Kalifornien und Brasilien, bewiesen. Trotzdem ist Surfen selbst für sehende Menschen mit vielen Hürden verbunden und wer nicht mindestens durchschnittlich sportlich ist, hat kaum eine Chance je richtig zu surfen. Doch wie steht es mit einem Surfer, der nicht sehen kann? Dieses wacklige Stück Schaumstoff auf dem Wasser ins Gleiten zu bringen, ohne dabei den Überblick über die Wellenhöhe und die Setwellen zu haben, ist nur schwer vorstellbar und Hansis Mut und Können verdienen daher allerhöchsten Respekt. Ich habe ihn im Herbst in Portugal getroffen und dies ist seine Geschichte.
Interview mit Hansi Mühlbauer
P: Hallo Hansi, wir unterhalten uns gleich übers Surfen, aber erzähl unseren Lesern doch erstmal ein bisschen von Dir.
H: Ich bin 36 Jahre alt und arbeite als Physiotherapeut und Dozent für Physiotherapie. Zusätzlich bin ich Mitbetreiber einer Wildnisschule, spiele in einer Band und schreibe mit meinem Freund Tibor Baumann zusammen an einem biographischen Roman. Ich surfe seit 2012. Aufgrund eines Retinoblastoms bin ich seit meinem zweiten Lebensjahr vollständig erblindet.
P: Wie bist Du zum Surfen gekommen?
H: Mein Bandkollege Chris surft schon seit 15 Jahren und sah irgendwann zufällig ein Video von Derek Rabelo, einem blinden Surfer aus Brasilien. Mit Chris gehe ich beispielsweise auch Tandemfahrrad fahren und er weiß daher gut, was er mir zumuten kann. Irgendwann sagte er zu mir: „Wenn der (Derek Rabelo) das kann, musst du das zumindest mal probieren!“ Wir haben uns dann auf die Suche nach einem Surfcamp gemacht und das Alamander Surf Camp auf Guadeloupe hat sich schließlich bereit erklärt, den Versuch zu wagen. Ich hatte keine Ahnung was auf mich zukommt und freundete mich in Gedanken schon mit ausgiebigen Sonnenbädern am Strand an, falls es mit dem Surfen nicht klappen sollte. Zu Vorbereitungszwecken gingen wir im Vorfeld der Reise mit einem Shortboard zum Paddeln an einen See und ich konnte nicht mal auf dem Brett liegen. Jemals darauf zu stehen, geschweige denn zu surfen, war zu diesem Zeitpunkt noch undenkbar für mich. Erstaunlicherweise ging es dann nach einigen Trockenübungen am Strand von Guadeloupe und mit einem Softboardbomber ausgestattet, doch ganz gut. Nachdem ich einige Wellen im Liegen genommen hatte, kam ich auch relativ fix zum Stehen und dann war es um mich geschehen. Ich war mit dem Surffieber infiziert!
Ich war mit dem Surffieber infiziert!
H: Im darauffolgenden Jahr verbrachten wir einen erneuten Surfurlaub in Acho in Nordspanien und 2014 fuhr ich das erste Mal nach Peniche. Auf Empfehlung eines meiner Patienten, fand ich in Thomas Schmidt von My Custom Surf auch direkt einen perfekten Surflehrer und meine Versuche gingen immer mehr in die Richtung dessen, was man Surfen nennt. Im April 2015 flog ich zusammen mit einem kleinen Filmteam erneut nach Peniche. Bei diesem Besuch lernte ich über auch Rico van Son aka SURF TAXI Surfschule PENICHE kennen. Rico vermittelte mir dann schon fortgeschrittenes Wissen über Wind, Wellen und das Verhalten im Wasser. Außerdem hat er ein besonderes Talent dafür, mir im Lineup ein sicheres Gefühl zu geben, wodurch ich mich besser auf das Surfen konzentrieren kann und dadurch im Endeffekt mehr Spaß habe. Gerade in diesem Oktober war ich, nach einem Surftrip in Andalusien, wieder in Peniche und erwischte noch vier perfekte Surftage mit Rico. Tommy und Rico sind sich darin ähnlich, dass Sie es schaffen bei voller Motivation dennoch Ruhe auszustrahlen und zwar sowohl im, als auch außerhalb des Wassers.
P: Gibt es noch andere Sportarten außer Surfen in Deinem Leben?
H: Ich hab in meiner Jugend viel Leichtathletik gemacht, vor allem 100-Meter-Lauf, Weitsprung und Kugelstoßen. Ich bin sehr experimentierfreudig und probiere gerne Neues. Das fängt beim Tandemfahrrad und Joggen an und reicht über Klettern und Kanufahren, bis hin zu japanischer Kampfkunst und letztendlich dem Surfen.
P: Wie schätzt Du selbst Deine Voraussetzungen zum Surfen ein?
H: Um es gleich vorwegzunehmen, ich habe keine bewussten Erinnerungen an mein Leben mit gesunden Augen. Das klingt zwar umso schlimmer, aber wahrscheinlich war der Zeitpunkt an dem ich erblindete, noch das beste was mir passieren konnte. Durch die frühe visuelle Prägung konnte mein Körper die grobmotorischen Fähigkeiten wie Aufrichten, Greifen, Stehen oder Laufen zwar noch sehend erlernen, trotzdem habe ich nie bewusst etwas vermisst. In der Blindenschule hatte ich einen Freund, der wesentlich fleißiger trainierte und insgesamt athletischer war als ich. Trotzdem kam er nie an meine Leistungen heran, da er durch seine angeborene Blindheit schlechter in der Lage war, die nötigen Bewegungsabläufe umzusetzen.
P: Wie lernt ein Blinder das Surfen? Gibt es ein Konzept?
H: Bisher gibt es meines Wissens nach keine Surfschulen mit einem Angebot für blinde Schüler und daher auch keine entsprechend ausgebildeten Surflehrer. Alleine Surfen kann ich leider (noch) nicht. Ich brauche einen Guide, mit dem ich mich auf bestimmte Kommandos verständige wie: „Spring“, „Drehen“, „Tauchen“, um den Shorebreak zu überwinden. Dann folgen „Gas geben“, „Hochdrücken“, „Runter vom Brett und tauchen“ oder „Eskimorolle“ um durch die Brandung ins Lineup zu kommen. Mein Surflehrer sitzt oder steht neben mir und hilft mir, mich zu positionieren und die Clean Up Sets zu vermeiden. Wenn es dann ans Surfen geht, sind die Kommandos: „Hinlegen“, „linke oder rechte Welle“ und „Paddeln“. Für den Take Off selbst brauche ich dann kein Kommando mehr, da man es zum einen ohnehin nicht hört, aber auch weil ich das richtige Timing kenne. Um ins Lineup zurück zu kommen, werde ich entweder wieder vom Surflehrer abgeholt oder schaffe es bei sauberen Bedingungen auch alleine. Es ist für mich in jedem Fall noch wichtiger, als für einen durchschnittlichen Surfer, viel über das Wasser und die Wellentheorie zu wissen.
Ich liebe den Moment des Take Offs
P: Was bedeutet Surfen für Dich?
H: Surfen bedeutet für mich in erster Linie Freiheit. Ich liebe den Moment des Take Offs, da ich von da an alleine bin mit dem was ich tue und nur selbst für mich verantwortlich bin. Surfen ist für mich auch Angstbewältigung. Das Medium Wasser und der Ozean sind für mich ohne Zweifel furchteinflössend, aber ich möchte meine Möglichkeiten durch das Bewältigen von Ängsten erweitern und meine körperlichen und geistigen Grenzen verschieben. Das ist eine der wichtigsten Motivationen in meinem Leben. Das Surfen spiegelt für mich sehr viel vom tatsächlichem Leben wieder. Oft glaubt man, die Kontrolle über die Dinge zu haben, aber das ist eine Illusion. Man muss seine Sicht auf bestehende Dinge ändern, damit sie für einen selbst funktionieren können. Ich bin beim Surfen manchmal voller Angst und Wut auf die vorherrschenden Bedingungen, aber ich muss einfach lächeln, alles als gegeben akzeptieren und mich anpassen und schon habe ich wieder Platz in mir für Freude und Glücksgefühle, die ich in dieser Intensität fast nur vom Surfen kenne. Durch das Überwinden der Angst und in Kombination mit dem Kraftaufwand, der Koordination, den meditativen Elementen und dem Verschmelzen mit der Natur, entdecke ich beim Surfen immer noch das Kind in mir und das ist einfach traumhaft schön.
Beim Surfen entdecke ich immer noch das Kind in mir und das ist einfach traumhaft schön
H: Ein toller Nebeneffekt des Surfens sind die vielen tollen Leute die ich dabei kennen lernen darf. Dabei treffe ich auch immer wieder neue Menschen, die sich trauen mit mir surfen zu gehen. Das ist nicht jedermanns Sache und dafür habe ich auch vollstes Verständnis, schließlich bin ich mir der Risiken und meiner Grenzen bewusst und möchte niemanden in Gefahr bringen. Ein Dank an dieser Stelle an Toto Schulz und Timothy Wood, mit denen ich an der Algarve surfen war.
P: Wo siehst Du Deine größten Hindernisse?
H: Manchmal stehe ich mir selbst im Weg und übersehe neben meinen ambitionierten Zielen diejenigen Fähigkeiten, die ich eigentlich schon beherrsche. Dass ich nicht alleine surfen gehen kann, ist natürlich auch eine große Einschränkung. Meist sind die Surflehrer zwar eine große Hilfe, aber verständlicherweise kosten Sie auch immer viel Geld. Ein Surfurlaub kann dadurch schnell teuer werden, weil ich ja praktisch auch immer Einzelstunden mit meinen Guides brauche.
P: Was sind Deine nächsten Ziele als Surfer
H: Ich würde gern in der Zukunft einmal für längere Zeit an einem Ort leben, an dem ich jeden Tag surfen kann. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, als Physiotherapeut in einem Surf Camp zu arbeiten oder Ähnliches. Ein Traum wäre auch, einen Sponsor zu finden, um die notwendigen Kosten für meine Surfguides besser abdecken zu können. Natürlich würde ich mich auch sehr freuen, gezielt mehr blinden Menschen das Surfen näher bringen zu dürfen, damit sie dieses einmalige Gefühl auch einmal spüren können!
Vielen Dank an Hansi für das Interview und die Inspiration.
Jobangebote und Sponsoren dürfen sich natürlich gerne auch bei uns melden. Wir leiten das dann weiter.
In diesem Sinne,
Enjoy
© plxp, Soul Surfers, 2016