Im Sommer, nach Gran Canaria? Kann man da überhaupt surfen? So klangen mir noch die Worte eines verblüfften Freundes in den Ohren: „Du warst doch schon oft genug am Atlantik. Mitte Mai bis Mitte August ist einfach tote Hose, da produziert der Nordatlantik keinen Swell. Und wenn schon Kanaren, dann sowieso Fuerteventura“. Egal dachte ich mir, ich hatte auch im Juli in Frankreich schon gute Sessions und außerdem war ich vorher noch nie auf den Kanaren. Zusätzlich war ich seit 6 Monaten nicht im Wasser gewesen und durch sieben Wochen Bali im Herbst und meinem Winteraufenthalt im Allgäu war mein Reisebudget stark geschrumpft. Mehr als 250 € für einen Flug waren momentan nicht drin, ich lebte ohnehin schon von meinem Dispo.
Die Entscheidung fiel mir umso leichter, da ich im vergangenen Jahr hier im Soul Surfers Forum einen freien Aufenthalt im Gran Canaria Hostel „La Ventana Azul“ gewonnen hatte. Dass man auf Fuerteventura und Teneriffa Wellenreiten kann, war mir schon länger bewusst. Von Gran Canaria als Surfdestination, hatte ich jedoch zuvor praktisch noch nie etwas gehört.
Mein Surftrip nach Gran Canaria
Ich hatte noch 6 Wochen, bevor es wieder Zeit würde, meinen studentischen Pflichten nachzukommen, aber erstmal auf halber Strecke zwischen Lissabon und Dakar zu landen, war schon mal ein guter Ansatz. Sollte wirklich Sommerflaute auf Gran Canaria herrschen, gäbe es wenigstens ein paar Ausweichmöglichkeiten. Dass ich bei einer irischen Billigfluglinie noch einen one way Flug für 50 € + 50 € Boardbag Fee abstauben konnte, bestätigte mich in meinem Vorhaben und schon eine Woche später folgte ich der Einladung nach Las Palmas de Gran Canaria. Dass der gebürtige Österreicher Thomas Borstner, dem ich das zu verdanken habe, dort in den vergangenen Jahren ein wirklich schönes Projekt aus dem Boden gestampft hat, sei schonmal am Rande erwähnt, dazu später mehr.
Auf Gran Canaria surfen
Meine Erwartungshaltung war bis zuletzt eher gering aber schon auf der Busfahrt vom Flughafen entlang der Westküste nach Las Palmas, kam ich an einem halben Dutzend Spots vorbei und überall waren ein paar Leute im Wasser. Ich war erleichtert, dass man hier wohl tatsächlich surfen konnte und dass es sich dabei nicht nur um ein Gerücht handelte, um ahnungslose Touristen anzulocken.
Bei meiner Ankunft waren immerhin 5 ft. Swell im Wasser und nachdem ich mein Gepäck im Hostel abgeladen hatte, war es natürlich Zeit für einen Spotcheck. Ich zog ein paar erste Turns und wie üblich, wenn man das erste Mal den Spot aus der Line-up Perspektive sieht, machte sich bei mir ein fettes Grinsen breit. Irgendwie hatte ich es wieder geschafft zu flüchten und an einem zuvor noch unbekannten Fleckchen der Erde surfen zu gehen. Alleine diese Session wäre es schon wert gewesen die Reise auf sich zu nehmen und wenn das immer so bleibt, verbringe ich hier gern den ganzen Sommer. Am zweiten Tag hatte ich dann einigermaßen raus wo die Bänke bei Mid-Tide liefen und staubte unter den kritischen Blicken der Locals ein paar schöne Wellen ab.
Am dritten Tag fuhren wir ein paar Kilometer Richtung Norden und was ich selbst zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht für möglich gehalten hatte wurde zur Gewissheit. Zwar auch nicht mehr Swell, aber dafür in exponierterer Lage versuchten wir unser Glück in Vagabundos. Ein Strand der zwar von Steine gesäumt ist, aber doch sandigen Untergrund in der Brandungszone bietet. Wir teilten uns den Break mit etwa fünf Leuten und ich hielt mich zum Anfang etwas zurück, aber nachdem mein Kumpel Pablo das zweite mal an mir vorbei aus dem Shorebreak zurückpaddelte und irgendetwas von der zweitbesten Welle seines Lebens gefaselt hatte, war es mit der Geduld vorbei. Ich paddelte 20 Meter weiter auf den Peak und packte mir die nächste Setwave und nach nichtmal 30 Minuten hatte ich schon zwei wirklich gute Rides und eine Menge kurzer Versuche eingesackt. Trotz Wind liefen die Wellen überraschend regelmäßig in die kleine Bucht und öffneten je nach Auswahl fast immer eine zweite, häufig sogar eine dritte Section. Schnell, steil und gerade nicht zu groß um mit meinen begrenzten Fäheigkeiten nicht nur ums Überleben kämpfen zu müssen.
Zwei Tage später legte Neptun noch 2 Fuß drauf und wir surften El Circo, nur wenige Meter entfernt. Was soll ich sagen. Bisher auf jedenfall eine der Top 10 Sessions meines Lebens und dafür, dass es meine vierte Session nach sechs Monaten Pause war, unglaublich. Nach dem dritten 10-Sekunden-Ride, erwischte mich leider beim Aufstehen ein Wadenkrampf und in der Folge wurde ich etwas unsanft vom Shorebreak auf die Steine am Strand befördert, was mich ein demoliertes Rail, zwei Finnen + Finplugs an meinem geliebten 6″2′ Maurice Cole kostete. Das konnte mir die Laune an diesem perfekten Tag aber nicht mehr verderben und war für fünfundreissig Flocken beim Shaper auch noch im verschmerzbaren Rahmen. Zwei Wochen später lief es sogar in La Cicer noch größer, sauberer und cleaner rein, aber der aus der Überraschung geborene Stoke der ersten zwei Sessions an der Nordküste war natürlich nicht mehr zu toppen.
Gran Canarias Natur
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich im Vorfeld praktisch gar nicht informiert hatte. Ich hatte die Kanaren schon von vorneherein als karge Vulkaninseln wie Fuerteventura abgestempelt. Dass es in den Höhenlagen Teneriffas auch etwas grün und gelegentlich sogar Schnee gab, war mir bekannt, aber auch die Busfahrt vom Flughafen in die Haupstadt Las Palmas änderte nichts an meinem Eindruck. Das vertrocknete, staubige Umland wurde nur von spärlichen Obstplantagen unter hässlichen grauen Abdeckplanen und verfallenen Industriebrachen unterbrochen.
Was mich dann allerdings wenige Tage später bei einem Trip in die Berge erwartete, haute mich, genau wie die Wellenqualität einige Tage zuvor, sprichwörtlich aus den Socken. Bei einer Fahrt in die Berge durchquert man eine Landschaft, die abwechslungreicher nicht sein könnte. Obwohl es Sommer war und wie mir erklärt wurde, es im Winter viel grüner sei, passierten wir kleine Täler mit Viehwirtschaft, Pinienwälder, Stauseen und Schluchten voll riesiger Kakteenkolonien. Von Eindrücken überflutet, fiel ich ins Bett, aber die tatsächliche Dimension der landschaftlichen Pracht, realisierte ich erst, als ich am nächsten Morgen auf der Terasse unserer Unterkunft stand. Mit freiem Blick in die Berge, präsentierte sich mir eine Mischung aus Karl-May Movie und Jurassic Park, ein waschechter Canyon von beeindruckender Größe, gesäumt von der verschiedensten biologischen Vielfalt.
Auch wenn sich meine Begeisterung für die Wellen nach den ersten guten Sessions etwas gelegt hat, war der Kontrast der Natur, wie er sich in Gran Canaria bietet, immer wieder überwältigend. Vielen Dank auch an all die vielen Leute, die mich auf Berge, an einsame Strände, in Höhlen, zum Klettern, Mountainbiken, Wandern, Sightseeing und Tappas-Essen nach Vegueta geschleift haben! Es war zwar oft anstrengend, aber alleine wäre ich dafür definitiv zu faul gewesen. Noch größerer Dank gilt nur denen, die mich nachts wieder nach Hause gebracht haben, wenn es mal wieder etwas länger wurde.
Las Palmas de Gran Canaria
Las Palmas ist eine aufregende Stadt, voller Erasmus Studenten, Travellern und Touristen allen Alters. Die Canarios selbst sind sehr freundlich und aufgeschlossen. Sie freuen sich immer über neue Gesichter und sind laufend bestrebt etwas neues zu erleben. Viele der Einheimischen haben nicht genug Geld um selber reisen zu gehen, aber umso mehr freuen sie sich über Besucher und zeigen einem gern die Insel. Nachteil: Wenn man nicht aufpasst, wird man schnell mal auf eine schräge Afterhour Party geschleift, von der man sich dann mit peinlichen Ausreden wieder verdrücken muss. Wie auch viele andere Städten von diesem Kaliber, besteht also vor allem für erfahrungshungrige Menschen wie Surfer stets die Gefahr den Versuchungen zu erliegen. Seien es die vielen StudentInnen, der günstige Alkohol oder einer der örtlichen Cannabis Social Clubs. Wer hier nicht aufpasst, verbringt unter Umständen mehr Zeit mit Aktivitäten, die man auch zuhause jederzeit erleben könnte, weil es auf Gran Canaria einfach so unglaublich bequem ist. Aber das jetzt als Nachteile zu bezeichnen, wäre schon ziemlich dekadent. Der einzige wirkliche Nachteil der Stadt ist die Parkplatzsituation. Man ist eben doch noch im politischen Europa. Meckern läßt sich hier nur, wenn man es wirklich darauf anlegt.
Architektur und Atmosphäre
Wenn Quentin Tarrantino einen Film in Spanien drehen würde, hätte dieser genau den gleichen 90-ger Jahre Charme, den der Norden von Las Palmas heute noch austrahlt. Was für viele Pauschaltouristen eher abschreckend ist, ist für Surfer und Studentenvolk natürlich genau das richtige und so trennt sich die Insel schön in eine famlilienfreundliche Südküste und einen wilden Norden. Die Strandpromenade „Paseo Las Canteras“ wird zwar einmal täglich vom Reinigungskommando geschrubbt und es sind eine ganze Reihe Restaurants in allen erdenklichen Preisklassen zu finden, aber Mallorca-Style Hotelbunker, Clubanlagen und Reisebus Kolonnen sucht man hier vergebens. Gleiches gilt auch für Shoppingmeilen in denen sich Surfshops aneinander reihen. Es gibt natürlich eine handverlesene Anzahl an kleinen und großen Surfshops & Surfschulen, aber der große Hype im Stil von Hossegor, Peniche oder Corralejo hat sich hier noch nicht durchgesetzt. Das macht den Vibe der Stadt auf jeden Fall um einiges authentischer, als fette Marken Banner in der ganzen Stadt. Man kann nur hoffen, dass man diese Stimmung noch ein paar Jahre genießen kann.
Das La Ventana Azul Surfhostel
Wie oben erwähnt, verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit auf Gran Canaria im Hostel „La Ventana Azul“. Das Haus ist kein reines Surfcamp, sondern irgendwo zwischen City Hostel, Beach-Retreat und Surfcamp. Ein Großteil der Besucher sind Surfer und Surfanfänger bzw. Leute die es „einfach mal probieren“ wollen, daneben finden sich aber auch immer viele Besucher, die mit Surfen gar nichts am Hut haben, was die Stimmung positiv auflockert. Das Durchschnittsalter liegt eher bei Ende, als bei Anfang Zwanzig, es etwas gemütlicher zu, als in so manchen Surfcamps am Atlantik. Der Umgang ist höflich, laut wird es nur selten.
Es ist keines dieser Partyhostels, wie man sie aus London, Barcelona oder Berlin kennt. Klar werden Nachts die obligatorischen Biere auf der Dachterasse geleert, aber die wird um Mitternacht geschlossen um die anderen Gäste zu schonen. Wenn natürlich alle Gäste selbst zugegen sind, wird auch mal ein Auge zugedrückt und um das ein oder andere Stündchen verlängert. Da aber an mindestens vier Tagen die Woche irgendwo in der Nähe ein Club geöffnet hat, ist man auch nicht unbedingt darauf angewiesen. Die Lage ist jedenfalls der Hammer und der meistgehörte Satz während meines Aufenthalt war auf jeden Fall: „Ist schon geil hier die Dachterasse am Meer.“ Ich spare mir ja gern die Festellung solcher Offensichtlichkeiten. Ja, es ist eine Dachterasse direkt am Meer. Du chillst auf einem überdimensionalen Sofa mit Schattendach und trinkst Dosenbier ohne Dosenpfand. Natürlich ist das ein geileres Gefühl als am Fenster einer Parterrewohnung in Wuppertal zu stehen und den Autos beim rosten zuzusehen. Aber eigentlich stimmt es schon. Selbst in Toplage auf dem 1 1/2 Kilometer langen Paseo würde ich freiwillig mit keiner anderen Bleibe tauschen. Für ein Surfhostel ist das jedenfalls fast schon übertriebener Luxus und schon für einen einzigen Abend dort oben, ist „La Ventana Azul“ einen Abstecher wert.
In nördlicher, als auch mit östlicher Richtung sind vom Hostel aus ca. 15 Spots innerhalb einer Viertelstunde Fahrt zu erreichen. Auf die Südseite schafft man es auch in einer knappen halben Stunde, falls der Swell mal von dort kommt. Auch die kleinen Gimmicks wie Boardracks im Eingangsbereich, seperate After Surf Duschen und die guten Connections zur lokalen Surfszene sorgen dafür, dass man sich hier als Surfer wirklich willkommen fühlt. Mehr muss dazu auch gar nicht gesagt werden. Macht Euch selber ein Bild, wem es nicht gefällt, in der Stadt gibt es noch ein Dutzend andere Hostels. Bei mir wurden aus einer geplanten Woche letzlich doch ein paar mehr und ich bin wirklich froh hergekommen zu sein.
Fazit zu meinem Surftrip nach Gran Canaria
Langsam wird es Zeit weiterzuziehen, einfach weil noch zu viele andere Orte auf meiner Liste stehen hinter die ich Haken setzen muss, bevor ich mich zur Ruhe setzen kann. Vermissen würde ich hier aber definitiv nichts. Das kulturelle Angebot ist vielleicht nicht gerade auf kalifornischem Niveau, aber dafür kostet eine Pizza auch nicht fünfzehn Dollar sondern fünf Euro und auf dem Peak sitzen nur 15 statt 50 Leute. Ansonsten gibt es hier alles an Ozean, Sonne, Wellen, Menschen und Komfort zu entdecken was man sich nur wünschen kann. Auf meiner Liste der potentiellen Auswanderungsziele ist Gran Canaria jedenfalls ziemlich weit nach oben gerutscht.
Ich halte Euch auf dem Laufenden…
plxp